Die Streaming-Plattform hat ihre Fans verärgert, weil viele beliebte Serien vorzeitig eingestellt werden. Was sind die Gründe dafür?
Falls Sie alle Neuigkeiten auf der BetaSeries-Website verfolgen und unseren monatlichen Newsletter lesen, wissen Sie, dass Netflix seine neuesten Produktionen häufig absetzt. Das liegt einerseits daran, dass das Modell der Streaming-Plattform in erster Linie die Serien-Vielzahl ist, die den Empfehlungsalgorithmus füttern soll, andererseits aber auch daran, dass Netflix seine eigene Strategie verfolgt, um über das Weiterleben der Serien zu entscheiden. Wie Sie sicher auch schon bemerkt haben, werden viele Serien schon nach zwei Staffeln (und manchmal sogar nur einer) abgesetzt: „The OA“, „Sense8“, „Marvel’s Luke Cage“ und letztens „Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm“ sind dieser Politik zum Opfer gefallen. Warum hat man den Eindruck, als wolle Netflix viele seiner Serien nicht verlängern?
Was ist für Netflix eine Erfolgsserie?
Die Webseite Wired hat nachgeforscht und gibt uns einige Antworten, angefangen damit, wie Netflix den Erfolg oder Misserfolg seiner neuen Serien misst. Während der Einführungsphase werden die Einschaltquoten über die ersten 7 Tage und die ersten 28 Tage gemessen. In diesen beiden Zeiträumen werden drei Zuschauertypen erstellt: die „Starters“, das heißt die Haushalte, die die erste Episode einer Serie sehen, die „Completers“, diejenigen, die die gesamte Staffel schauen und die „Watchers“, global die Anzahl der Abonnenten, die die Serie sehen.
Aus diesem Grund treffen einige Ankündigungen sehr bald nach dem Start einer Serie oder einer Staffel ein, denn die Zahlen erlauben eine rasche Erfolgsbewertung. Da Netflix-Neuerscheinungen auf der Mundpropaganda der Abonnenten basieren, ist es nicht ungewöhnlich, dass es Serien, über die bei der Einführung nicht viel gesprochen wird, plötzlich ein Überraschungs-Publikumshit werden, wie zum Beispiel „Das Damengambit“. Diese Erfolge, begünstigt durch den Algorithmus und die Werbung für die Serie auf der Homepage, sind nur ein Teil der Entscheidung.
Ein weiterer, ebenso wichtiger Faktor ist die Art des Publikums, das eine Serie anziehen kann. Ist es ein breites und vielfältiges Publikum, oder im Gegenteil eine sehr engagierte, aber letztlich unzureichende Fangemeinde? Dies ist insbesondere der Fall von „Sense8“ und „The OA“, die beide trotz einer äußerst aktiven Fangemeinde abgesagt wurden. Wenn Serien wie „The Crown“ und „Stranger Things“ weiterlaufen, dann deshalb, weil sie weltweit erfolgreich sind, die Abonnentenbindung weitgehend beeinflussen und neue Abonnementen bringen, aber auch wegen ihres kulturellen Einflusses.
Sie sind die wahren Stars, die dazu beigetragen haben, das ein Netflix-Abonnement heute bei jedem Serienfan zur Grundausstattung gehört. Es ist jedoch vor allem aus Kostengründen nicht einfach, in einem solch umkämpften Wettbewerbsumfeld einen nachhaltigen und durchschlagenden Erfolg zu entwickeln, und dabei kreativ zu bleiben.
Exponentielle Kosten
Das ist der wichtigste und in der Öffentlichkeit relativ am bekannteste Faktor. Netflix dreht keine Pilot-Folgen, sondern bestellt jedes Mal eine ganze Saison und deckt die gesamten Produktionskosten. Es arbeitete also nach dem gleichen Modell wie die amerikanischen Netzwerke und Kabelkanäle und teilte sich die Kosten mit den Produktionsstudios, wie es zum Beispiel bei „House of Cards“ der Fall war. Um jedoch bei den Showrunners und Produzenten so attraktiv wie möglich zu bleiben, zahlt ihnen Netflix bei Verlängerungen Boni und Erhöhungen. Die Serien werden daher immer teurer, während das Publikum nicht wächst. Dies galt insbesondere für „I Am Not Okay With This“ und „The Society“, die außerdem mit den Auswirkungen der Budgeterhöhungen zurechtkommen mussten, die notwendig waren, um mitten in der Covid-Pandemie zu drehen.
Kürzlich erfuhren wir, dass „Mindhunter“ voraussichtlich nicht für eine dritte Staffel zurückkehrt, da für David Fincher, abgesehen von seinem eigenen Wunsch, weiter an ihr zu arbeiten, die Show einfach nicht genug läuft für das dazu erforderliche Budget. „Mindhunter“ hätte jedoch eine Ausnahme machen sollen, einfach deshalb, weil Netflix mit einem so angesehenen und kreativen Filmemacher, mit dem es seinen 2012 unterzeichneten Vertrag erneuern will, gute Beziehungen behalten will. Aus diesem Grund konnte Noah Hawley trotz mittelmäßigen Erfolgs drei Staffeln von „Legion“ auf FX produzieren: der Schöpfer von „Fargo“ hat dem FX-Kanal damit schließlich einen enormen Erfolg geliefert.
„Wir liegen gut im Schnitt“
Die Streaming-Plattform hat sich kürzlich auf der Paley International-Konferenz zu diesem Thema geäußert: Bela Bajaria, kürzlich zur Chefin der TV-Abteilung ernannt, gab bekannt, dass die Erneuerungsrate der Serien 67% beträge, ein Wert, der den Branchenstandards entspricht. Ted Sarandos, Co-CEO bei Netflix, behauptete, die Medien hätten eine „Cancel-Culture“ erfunden und das Absägen der Serien völlig übertrieben. Wenn Netflix viele Serien nach nur einer oder zwei Staffeln abzusetzen scheint, dann liegt das daran, dass es eben viele neue dreht.
Sie sehen, es gibt bei Netflix viele Variablen, nach denen über die Zukunft einer Serie entschieden wird. Wenn sich die Frage bei dauerhaften Erfolgen wie „Sex Education“, „The Witcher“ oder „The Umbrella Academy“ nicht einmal stellt, gibt es eine unsichere Grauzone für viele andere Serien, deren Schicksal von Performance-Indikatoren abhängt, die in unserer Zeit so typisch sind. Wenn es also besser scheint, sich nicht zu sehr in die eine oder andere neue Netflix-Serie zu verlieben, die dann sowieso abgesetzt wird, so liegt das an der Peak-TV-Ära, in der wir uns befinden. Der Kampf um unsere Online-Aufmerksamkeit ist härter denn je, und wie bei jedem Wettbewerb wird es Gewinner und Verlierer geben.